Genial oder Irrsinn? Die TV-Sendung „Hochzeit auf den ersten Blick“

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„Mach mit - und vielleicht beginnt schon bald die aufregendste Zeit deines Lebens. Bye-bye Single-Leben und Hallo Ehe!“ Mit diesen Sätzen wird für eine der außergewöhnlichsten TV-Shows bei Sat.1 geworben. Es ist die „Hochzeit auf den ersten Blick“. In diesem Jahr feiert das TV-Format sein Jubiläum. Die 10. Staffel ist gerade zu Ende gegangen. Seit 10 Jahren gibt es „Hochzeit auf den ersten Blick“, das als Experiment verstanden werden will. 12 Singles wagen das Experiment und suchen ihren Traumpartner oder ihre Traumpartnerin fürs Leben blind.

Wer betreut das Experiment?

Begleitet wird das Experiment von drei erfahrenen Experten, darunter Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin Dr. Sandra Köhldorfer, systemische Paar- und Sexualtherapeutin Beate Quinn und Diplom- Psychologe Markus Ernst. In mehreren Castings werden vier bis sechs Paare pro Staffel zusammengestellt. Diese Paare treffen sich erstmalig in einem Standesamt und werden dort rechtsgültig verheiratet. Fragt sich: Experiment oder Suche nach dem besonderen Kick?!?

Wo bleibt die Moral?

Kaum zu glauben, aber wahr. Wie oft regen wir uns über Sitten in manchen Ländern dieser Welt auf, wo Menschen ohne Liebe und eigenem Wollen zwangsverheiratet werden. Und in diesem TV-Format willigen erwachsene, gut ausgebildete und eigentlich psychisch stabile Menschen freiwillig in eine Ehe ein, ohne den anderen zu kennen. Und über 1,2 Millionen Menschen vor den Fernsehern schauen zu, wie sich heiratswillige Singles ins vermeintliche Glück stürzen und das bereits im zehnten Jahr. Die Idee für diese Doku-Soap stammt aus Dänemark und wurde dort erstmals 2013 ausgestrahlt. Deutschland zog ein Jahr später mit „Hochzeit auf den ersten Blick“ nach. Als zum Start der Staffel sich die ersten unbekannten Paare vor dem Traualtar eines Standesamtes begegneten, gab es Kritik aus der katholischen Kirche, der Erzbischof Wölki aus Köln urteilte, die Show pervertiere die Ehe und ebenso die Liebe. Kein Grund das TV-Format zu stoppen, Großbritannien, USA und Australien zogen mit ihren Formaten „Married at First Sight“ nach.

Kann aus Wissenschaft Liebe werden?

In dem Format wird immer wieder auf das Experiment hingewiesen und auch die Paare erwähnen sehr häufig, dass es ja ein Experiment sei. Wahrscheinlich beruhigt diese Aussage einige Gemüter. Interessant ist, dass noch nie jemand „Nein" im Standesamt bei „Hochzeit auf den ersten Blick“ gesagt hat. So wird der Traum vom Heiraten als Experiment weiterverkauft und pro Staffel mindestens 4 Paare verkuppelt. Manche nennen es tapfer, wie die Sängerin Ilse DeLange als sie als Gaststar für ein unbekanntes Paar singen durfte. Das ganze Experiment verfolgt eine Kamera. Nach dem Ja-Wort der Unbekannten folgt die Feier mit den neuen Verwandten. Ein Feuerwerk und eine Musikeinlage dürfen nicht fehlen. Dann geht es - natürlich von der Kamera begleitet - zur Hochzeitsnacht in eine Suite. Hier erfährt das Paar meist per Video, wo die Hochzeitsreise hingeht. Kein Ziel ist zu weit: Bali, Malediven, Namibia, Vietnam - der TV-Sender reizt mit den schönsten Orten weltweit. Auf der Hochzeitsreise dürfen sich die Frischvermählten kennenlernen: Was mag er oder sie? Wer schnarcht? Wie ist sie eher intro- oder extrovertiert? Was sind seine Vorlieben? Anschließend geht es in den Alltag, die Eheleute besuchen sich gegenseitig zu Hause. Die Experten stehen den Paaren stetig mit Rat und Tat zur Seite. Nach einigen gemeinsamen Wochen müssen die Ehepaare im Beisein aller anderen TeilnehmerInnen entscheiden: Ehe oder Scheidung?

Wer ist noch zusammen?

In 10 Jahren wurden etliche Singles unter die Haube gebracht. Einige dieser Paare sind noch immer glücklich verheiratet, manche haben sogar Nachwuchs bekommen. Insgesamt haben sich in den letzten 9 Staffeln 96 Singles das Ja-Wort geben, ohne ihre Braut oder ihren Bräutigam vorher zu kennen. 48 Ehen wurden vor laufender Kamera geschlossen. Aber ganz ehrlich, bei wie vielen Paaren hat das Experiment wirklich funktioniert? Stand heute: 5 Ehen sind noch intakt.
Bleibt die Frage: Wieviel Mut braucht jemand, der sich bei so einer TV-Show „Hochzeit auf den ersten Blick“ bewirbt? Ist der erste Blick wirklich auch der richtige Kick? Was hat jemand erlebt, der oder die solch eine Chance ergreift?

Wie erfolgreich ist Online-Dating?

Die neusten Zahlen sagen, dass 46 % der neuen Paare sich online kennen lernten. In solchen Online-Dating-Portalen geben viele von sich alles preis, aber in der Realität, im wahren Leben, haben die wenigsten die Traute jemanden anzusprechen. Dabei ist es doch viel schöner mit all seinen Sinnen jemanden kennen zu lernen. Einen Menschen mit seiner Mimik und Gestik zu sehen, die Stimme zu hören, ihn oder sie zu riechen, zu fühlen und vielleicht sogar zu berühren und zu schmecken. Nach einer Umfrage sind die vielversprechendsten Orte zum Kennenlernen im Freundes- und Bekanntenkreis, gefolgt beim Ausgehen, im Job oder der Nachbarschaft, bei Hobbys, im Urlaub, beim Sport und auf dem letzten Platz rangiert das Internet. Da wundert man sich doch, oder? Mein Wunsch wäre, wenn wir da draußen einfach aufeinander zu gehen könnten und ganz locker: „Hallo!“ sagen. „Ich bin Manuela. Wie heißt Du? Du bist mir vorhin schon aufgefallen als ich in die Kneipe reingekommen bin. Und ich dachte mir, wenn Du mich jetzt nicht ansprichst, na dann tue ich es!“ Vielleicht ist das Verhalten nicht mehr zeitgemäß, schade.
In der 10. Staffel haben sich von 6 Paaren am Ende 4 Paare für die Ehe entschieden, 2 Paare wählten Scheidung. Ab sofort laufen die Anmeldungen zur nächsten Staffel von "Hochzeit auf den ersten Blick“. Na, bereit für das Sozial-Experiment der ganz anderen Art?